Lernen durch Engagement
Begleitung von Nachhaltigkeitsengagement ist BNE
Warum wir uns entschieden haben, fünf Gruppen für ein Jahr in ihrem Engagement für Nachhaltigkeit zu begleiten, was wir dabei gelernt haben und welche Empfehlungen für BNE-Akteur:innen und -Förder:innen sowie Bildungspolitik wir daraus ziehen.
Im Jahr 2020 haben wir unsere bisherige Arbeit rund um das zunehmend bekannter werdende Bildungs- und Engagementkonzept des Handabdrucks evaluiert. Dabei kristallisierte sich eine besondere Herausforderung heraus, zu der wir unsere Arbeit weiterentwickeln wollten:
Die meisten unserer Veranstaltungen zum Handabdruck waren einmalig stattfindende Workshops, in denen wir mit den Teilnehmenden einen Perspektivwechsel vom Fuß- zum Handabdruck erarbeiteten. Häufig erlebten wir, dass die Teilnehmenden im letzten Teil des Workshops spannende eigene Ideen für Handabdruck-Projekte entwickelten und Feuer und Flamme für neu entdeckte Handlungsideen und -spielräume waren. Dann gingen die Teilnehmenden jedoch wieder in ihre jeweiligen Wohnorte und Umgebungen zurück. Mit ihren Projektideen für strukturelle Veränderungen an ihrem Arbeitsplatz, ihrer Schule oder ihrer Kommune im Gepäck starteten einige dann in die erste Schritte auf dem Weg zu einem bleibenden Handabdruck.
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In fast allen Handabdruck-Projekten treten früher oder später Herausforderungen auf. So ist es vielleicht schon schwierig, erste Mitstreiter:innen zum Beispiel in der Nachbarschaft zu finden. Häufig ist es auch gar nicht so trivial, den wirksamsten Hebel für die angestrebte Veränderung zum Beispiel im Verein zu identifizieren. Es kann nervenaufreibend sein, sich als Gruppe gut zu organisieren. Es braucht viel Mut und im besten Fall eine Strategie, um im Gespräch mit Entscheidungsträger:innen zum Beispiel in der Kommune selbstbewusst aufzutreten und die eigenen Argumente überzeugend rüberzubringen. Meist zeigt sich irgendwann, dass eine gemeinsame Kommunikationsstrategie hilfreich wäre. Und - viele spezifische Herausforderungen treten erst im Handeln selbst auf.
Viele BNE-Akteur:innen im außerschulischen Bereich sehen ihre Teilnehmenden gleichzeitig – so wie wir – nur punktuell bei einer Veranstaltung und bekommen später im Engagement auftretende Herausforderungen nicht mit. So sind auch die Möglichkeiten, Engagierte in schwierigen Phasen des Engagements zu unterstützen, leider bregrenzt.
Darüber hinaus ist es auch nur der erste Schritt transformativer BNE, Handlungsoptionen mit strukturveränderndem Wirkpotential aufzuzeigen. Für ein wirkungsvolles Nachhaltigkeits-Engagement und den Umgang mit den oben beschriebenen Herausforderungen braucht es auch Strategien, wie man genau vorgehen kann, um nachhaltige Mobilität, nachhaltige Ernährung oder nachhaltige Energie im eigenen Umfeld zum neuen Standard zu machen. Und es braucht praktische Kompetenzen, um die eigenen Ideen erfolgreich umzusetzen.
Vor diesem Hintergrund haben wir beschlossen ein Projekt zu starten, in dem wir engagierte Gruppen über den Zeitraum von einem Jahr begleiten und ihnen bedarfsorientiert Workshops anbieten – genau zu den Themen, wo sie gerade Unterstützung, Beratung oder eine Weiterbildung brauchen. Dabei sollten die praktischen Kompetenzen für ein strategisches Nachhaltigkeits-Engagement – das Handwerkszeug – im Mittelpunkt stehen.
Handwerkszeug für Zukunftshandeln
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Copyright: Germanwatch e.V. | Illustration: Dominik Bärenz
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Anfang 2022 war es dann so weit. Wir hatten eine Förderung von der Stiftung Umwelt und Entwicklung NRW erhalten und konnten aus mehr als 20 Bewerbungen von engagierten Gruppen aus NRW fünf unterschiedliche Gruppen für das einjährige Begleitprogramm “Handwerkszeug für Zukunftshandeln” auswählen.
„Im Programm Handwerkszeug für Zukunftshandeln haben wir fünf Gruppen in NRW für zwölf Monate in ihrem transformativen Engagement für eine gute Zukunft für alle begleitet. In dieser Zeit haben wir bei den fünf Gruppen vor Ort jeweils individuelle Workshops durchgeführt, die sich an ihren jeweiligen fachlichen, strategischen oder organisatorischen Fragen orientierten.
Ziel des Begleitprogramms „Handwerkszeug für Zukunftshandeln“ war es, die Gruppen und ihre Projekte dabei zu unterstützen, einen bleibenden und strukturverändernden Handabdruck für eine sozial und ökologisch gerechete Gesellschaft zu hinterlassen.“
Mit dabei waren die Students for Future Wuppertal, der runde Tisch Nachhaltigkeit / Volkshochschule Ahaus, die Malteser Jugend NRW, die Parents for Future Bornheim / Swisttal / Weilerswist und die evangelische Jugend im Kirchenkreis Hamm. Sowohl in Bezug auf das Alter, als auch in Bezug auf die Strukturen, in denen die Teilnehmenden ihre positiven Handabdrücke hinterlassen wollten (von der Hochschule, über die Kommune, über die Religionsgemeinschaft bis hin zum Dachverband einer großen Organisation), waren die Gruppen sehr divers aufgestellt.
Über das Jahr hinweg fanden – neben einigen digitalen Zwischentreffen mit allen Gruppen zusammen – 14 gemeinsame, bedarfsorientierte Handwerkszeug-Workshops bei den Gruppen vor Ort statt. Die Themenwünsche ginge von den Gruppen selbst aus. Teilweise fanden die Gruppen dies auch herausfordernd und wünschten sich in Vorgesprächen Vorschläge für Workshopthemen, um so eine bessere Vorstellung zu bekommen, welche Themen unter Strategieentwicklung und Kompetenzen für Nachhaltigkeits-Engagement fallen könnten. Drei Themen wurden von mehreren Gruppen gewünscht, und zwar:
- das Identifizieren und Priorisieren von für die eigenen Nachhaltigkeitsziele und im eigenen Umfeld wirksamsten Hebel,
- die Entwicklung von Kommunikationsstrategien und Trainings zum Sprechen mit Entscheidungsträger:innen,
- der gesunde Umgang mit eigenen Ressourcen im Engagement und in der Gruppe/ Resilienz.
Weitere Themen waren die Evaluation bisheriger Strategien, werteorientierte Kommunikation und Framings, der Umgang mit Rückschlägen und die Rolle von Wertschätzung in der Gruppe, gesellschaftliche Transformationsmodelle, Akteursanalysen und Meilensteinplanungen, politische Strategie-Entwicklung, die zielgruppenorientierte Ansprache von Entscheidungsträger:innen, der Umgang mit Widerständen und Mitgliedergewinnung und -bindung.
Im Folgenden fassen wir zusammen, was wir in dem Handabdruck-Begleitprogemm gelernt haben und welche Empfehlungen für BNE-Akteur:innen und -Förder:innen sowie Bildungspolitik wir daraus ziehen.
7 Erkenntnisse aus unserem Begleitprogramm
Die wertvollste und gleichzeitig knappste Ressource in unserem Begleitprogramm und im Nachhaltigkeits-Engagement im Allgemeinen ist Zeit.
Während alle Gruppen, die wir begleitet haben, Interesse daran hatten, sich praktische politische Handlungskompetenzen anzueignen, stand jede zusätzliche Auseinandersetzung mit neuen Themen und jedes Hinterfragen bisheriger Heransgehensweisen in Konkurrenz mit dem Aufrechterhalten des täglichen Engagementgeschäfts.
Zwar können Begleitprogramme versuchen, bei der Strategienentwicklung so zu unterstützen, dass die vorhandenen zeitlichen Ressourcen möglichst effizient zur Erreichung des jeweiligen Ziels eingesetzt werden oder mit Gruppen an der Gewinnung neuer Mitstreiter:innen zu arbeiten. Die der Gruppe zur Verfügung stehende Zeit an sich können wir aber natürlich nicht vermehren. Daher ist es eine Gradwanderung, ein Begleitprogramm so zu gestalten, dass der Mehrwert für die Gruppe die zusätzliche zeitliche Belastung überwiegt.
Das Programm sollte also eine konstante Begleitung ermöglichen (z.B. durch die Möglichkeit, dass die Gruppen sich bei Fragen und Beratungsbedarf proaktiv melden können) und geichzeitig so schlank wie möglich bleiben. Hilfreich wäre hier ein festes zeitliches Raster von vornherein feststehenden 6-8 Terminen im Jahr.
Wir haben die Themen und Zeitpunkte für die Workshops im Programm Handwerkszeug für Zukunftshandeln komplett offen gelassen haben, um maximal auf die Bedürfnisse und Themen der begleiteten Gruppen eingehen zu können.
Wir denken weiterhin, dass eine Orientierung am aktuellen Bedarf elementar ist, damit die Engagierten bei aktuellen Herausforderungen nicht aufgeben und die Workshops ganz konkret im Engagement weiterhelfen.
Gleichzeitig hat sich wie oben beschrieben gezeigt, dass es häufig vergleichbare Themen sind, die nachhaltigkeitsengagierte Gruppen beschäftigen. Wenn wir nochmal ein Begleitprogramm durchführen, würden wir daher einen Pool von ca. acht möglichen Themen für die Workshops entwickeln, aus dem die Gruppen auswählen können. Dies würde den Gruppen weiterhin eine Wahlfreiheit und Passung der Workshops zu ihren aktuellen Fragen ermöglichen und ihnen gleichzeitig etwas Orientierung über mögliche Themen geben.
Darüber hinaus empfehlen wir das Einrichten eines solchen Workshopangebots-Pools, da es die Planung der Workshops für die durchführenden BNE-Akteur:innen deutlich leichter macht und so mehr zeitlicher Vorlauf für die Vorbereitung oder die Suche nach Referent:innen gegeben ist.
Sinnvoll ist natürlich trotzdem, dass man es den Gruppen ermöglicht, innerhalb der jeweiligen Workshopthemen (wie zum Beispiel “Entwicklung von Kommunikationsstrategien”) eigene Schwerpunkte zu setzen um passgenau die eigenen Herausforderungen und Fragen zu bearbeiten.
Unserer Erfahrung nach brauchen Begleitprogramme, die transformatives Engagement im Sinne des Handabdrucks begleiten, eine ausgewogene Mischung aus Workshops
... zur Strategieentwicklung, zu ganz praktischen Kompetenzen politischen Handelns sowie zum langfristig gesunden und resilienten Engagement und guter Zusammenarbeit in der Gruppe. Keiner dieser Bereiche sollte außen vorgelassen werden.
Eine Besonderheit unseres Pilotprojektes Handwerkszeug für Zukunftshandeln war, dass Gruppen und nicht Einzelpersonen am Programm teilgenommen haben.
Während es zahlreiche Weiterbildungsprogramme für Einzelpersonen gibt, ist die Teilnahme an einem längerfristigen Programm als Gruppen deutlich seltener, für engagierte Nachhaltigkeitsinitiativen vielleicht einzigartig. Der große Vorteil dieses Programmaufbaus war, dass wir jeweils die gesamte Gruppe kennenlernen und in den Workshops mit allen Mitgliedern einer Gruppe gemeinsam Themen bearbeiten und so alle mitnehmen konnten. So konnten wir auf die jeweiligen Dynamiken in einer Gruppe im Rahmen der Workshops eingehen und auch potentielle Meinungsverschiedenheiten zu einem Thema direkt diskutieren und mit einbeziehen.
Wenn nur eine Person pro Gruppe an einer Weiterbildung teilnimmt, hat diese häufig die herausfordernde Aufgabe, neu Gelerntes an andere Mitglieder weiterzutragen und als Einzelperson ihre Mitstreiter:innen von neuen Ansätzen zu überzeugen. Vor diesem Hintergrund sind wir weiterhin überzeugt, dass Begleitprogramme für Gruppen besonders wertvoll für deren Wirken sind. Wir haben auch erlebt, wie die Teilnahme die Gruppen insgesamt zusammenwachsen ließ.
Gleichzeitig entstehen jedoch auch hier neue Herausforderungen. Zum Beispiel kann der Ownership für die Teilnahme an einem solchen Programm bei den Gruppenmitgliedern unterschiedlich ausgeprägt sein, sodas dann auch die Verantwortungsübernahme für die Teilnahme am Programm ungleich in den Gruppen verteilt ist. Innerhalb eines Jahres kann außerdem viel Fluktuaktion in einer Gruppe stattfinden und Ansprechpartner wechseln.
Nicht zuletzt kann man an einem solchen Programm mehr Gruppen teilhaben lassen, wenn z.B. aus 20 Gruppen je eine Person teilnimmt, als wenn fünf Gruppen intensiv begleitet werden.
In der BNE ist schon lange Konsens, dass es darum gehen muss, Gestaltungskompetenzen zu vermitteln, um Menschen den Schritt vom Wissen zum Handeln zu erleichtern.
Weniger diskutiert wird dabei die Frage, zu welchem Handeln Bildungsakteur:innen eigentlich befähigen. Dieser Frage sollten wir uns bewusster stellen, um dann auch die für ein entsprechendes Handeln erforderlichen Handlungskompetenzen ins Zentrum unserer BNE-Arbeit zu stellen. Wenn Du also feststellst, dass deine Bildungsarbeit:
- zu einem Handeln auf Ebene von Organisationen befähigen soll, (also Lernende in die Lage versetzen soll, z.B. die eigene Schule | Hochschule | Arbeitsplatz | Verein | Religionsgemeinschaft (…), auch im Sinne eines Whole Institution Approaches, nachhaltiger gestalten zu können), oder
- zu einem Handeln auf gesellschaftlicher Ebene befähigen soll (also Lernende in die Lage versetzen soll, sich auf stadtpolitischer, kommunaler, landes- oder bundespolitischer (...) Ebene für eine nachhaltigere Gesellschaft einsetzen zu können)
muss die Erarbeitung dafür erforderlicher Kompetenzen entsprechend Eingang in deine Bildungsarbeit finden.
Wir brauchen mehr längerfristige Begleitprogramme für Nachhaltigkeits-Engagement
Auch und gerade für Menschen, die nicht schon in Nachhaltigkeitsinitiativen eingebettet sind, aber zum Beispiel in ihrem Sportverein oder Jugendtreff für Nachhaltigkeit aktiv werden wollen. Hier besteht häufig das Vorurteil (auch seitens der BNE-Akteur:innen), man könnte seine Zielgruppen mit zu politischen oder strategischen Inhalten überfordern. Doch fast jede:r Mensch ist politisch insofern, als dass er oder sie in seinem eigenen Umfeld Aspekte wahrnimmt, die anders gerechter oder nachhaltiger gestaltete werden können. Umso hilfreicher können in solchen Kontexten Begleitprogramme sein, um politisches Handeln im realen Raum zu ermöglichen.
Wir möchten besonders BNE-Akteur:innen im außerschulischen Bereich ermutigen, Engagement-Begleitprogramme anzubieten. Überwindet die Hemmung, auch politisches Handeln zu begleiten. Dabei muss nicht der Anspruch sein, auf jede einzelne Frage und Herausforderung der begleiteten Gruppen sofort selbst eine Antwort parat zu haben. Stattdessen ist es sinnvoll, genug Ressourcen für Honorare einzuplanen, um an den Stellen, wo man selbst weniger eigene Erfahrung hat, Expert:innen von außen dazu zu holen. Auch Austauschräume für engagierte Gruppen untereinander zu schaffen, bringt viele Engagierte häufig schon einen Schritt weiter – sei es durch neue Ideen oder auch durch das Teilen ähnlicher Herausforderungen und erster Erfolge.
Wir brauchen mehr Förderprogramme, die Begleitprojekte wie "Handwerkszeug für Zukunftshandeln" möglich machen.
Förderprogramme für BNE-Angebote, die bedarfsorientiert Engagement begleiten, müssen BNE-Projekten ermöglichen für verschiedene Zielgruppen und Workshopthemen offen zu bleiben und nicht von vornherein den gesamten Projektverlauf festzulegen. Ohne diese Freiräume ist die Durchführung eines Begleitprogramms für Handwerkszeug für Zukunftshandeln schwierig.
Insgesamt haben Fördergeber:innen die Möglichkeit, eine transformativere BNE zu fördern, indem sie Engagementbegleitung zu einem Schwerpunkt in ihren Förderrichtlinien machen und so das Lernen und Wirken im realen Leben – anstatt im Planspiel – zum neuen Standard machen.
Förder:innen
Das Projekt „Handwerkszeug für Zukunftshandeln“ wird gefördert
Firma und/oder Position im Unternehmen
Referentin Bildung für nachhaltige Entwicklung | Germanwatch e.V.
User Biographie
Ich bin Psychologin und beschäftige mich bei Germanwatch mit der Frage, was Menschen bewegt, aktiv zu werden. Ich entwickele Konzepte, Tools, Workshops und Materialien, die Menschen dabei unterstützen sollen, mit ihrem Engagement nachhaltig und strategisch strukturelle Hebel in Bewegung zu setzen. Ähnlichen Fragen gehe ich im Institut Futur im Rahmen des Nationalen Monitorings „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ auf wissenschaftlicher Ebene nach.
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