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Eine Person geht mit ihrem Kind in eine öffentliche Bibliothek und dort ist sehr viel los. Es gibt einen 3D-Drucker, es gibt Bücher, es gibt Arbeitsplätze mit PCs, es gibt große Fenster zur Straße hin, or denen man in bequemen Sesseln sitzen und lesen kann.

Wir brauchen dritte Orte für die Transformation

Sie fördern Bildungsgerechtigkeit und soziale Nachhaltigkeit

Im Alltag machen wir uns selten aktiv Gedanken darüber, wo und wann wir lernen und woran es liegt, dass es einigen Menschen leichter fällt als anderen. Dabei sind die Bedingungen, unter den wir lernen, und die Orte, an denen wir lernen, so wichtig, dafür ob und wie wir unser Wissen in die Praxis übersetzen können.

Mich bewegt in diesem Debattenbeitrag deshalb die Frage, welche Orte besonders zu einer sozial-ökologischen Transformation beitragen und was das mit Bildungsgerechtigkeit zu tun hat. Dafür nehme ich Bezug auf Erkenntnisse aus der Bildungs- und Stadtforschung. Im letzten Abschnitt frage ich außerdem, welche Bedeutung diese Erkenntnisse für die BNE haben und möchte mit euch Leser:innen ins Gespräch darüber kommen, welche Orte ihr persönlich und wir als Gesellschaft für die Transformation brauchen.

Bildung und die Orte, an denen wir lernen

Bildungsprozesse finden in ganz konkreten räumlichen und sozialen Kontexten und unter ungleichen individuellen und gesellschaftlichen Rahmendbedingungen statt.

Bildung ist ein komplexer Begriff und umfasst mindestens zwei Dimensionen: Bildung als eher funktionale Aus- & Weiterbildung und Bildung als Persönlichkeitsentfaltung. Versteht man Bildung als fortwährenden Lernprozess sind daher sowohl der Erwerb von Fakten- und den Erwerb von Erfahrungswissen sowie die Fähigkeiten zum Verstehen von Zusammenhängen, zur Reflexion und persönlichen Weiterentwicklung gemeint. Der Erfolg von Bildung - das heißt das Erreichen eines selbstgesteckten Bildungszieles - ist abhängig von den Wechselwirkungen mit Bedürfnissen in anderen Bereichen (Gesundheit, soziales Umfeld, Wohnumfeld etc.) und dem Grad der sozialen Ungleichheit in einer Gesellschaft (u.a. Holloway et al. 2010, Holloway/Jöns 2012, Klundt 2016, Kraftl 2015, Meusburger 2006, Mills/Kraftl 2014).

Ein wichtiges Kriterium, um Bildungsangebote für alle Menschen zu ermöglichen, ist der Zugang zu niedrigschwelligen Bildungsangeboten - oder mit anderen Worten: Bildungsgerechtigkeit. Auch und gerade für unser Verständnis von Bildung für nachhaltige Entwicklung mit Handabdruck, die möglichst Viele für die Transformation gewinnen soll, sind Inklusion und Diversität von Bildungssystemen eine strukturelle Rahmenbedinung.

Bildungsgerechtigkeit und die notwendigen Rahmenbedingungen sind in der wissenschaftlichen Debatte nicht hinreichend definiert. Es ist eher ein Orientierungsbegriff, der rahmt, was unter Bildung in einem bestimmten Kontext verstanden wird und welcher Grad an Gleichheit hergestellt werden soll (Zwick 2017).

Um eine sozial und ökologisch gerechte (Stadt-)Gesellschaft zu erreichen, in der wir alle leben können und gleichzeitig die planetaren Grenzen unseres Planeten im Blick behalten, ist es wichtig Gerechtigkeit im Bildungsbereich anzustreben. Der Zugang zu Bildung ermöglicht uns allen lebenslange Lernprozesse und ist eine Grundvoraussetzung für die Teilhabe an den gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen, die wir brauchen, um die Herausforderung Klimaschutz als Gesellschaft zu bewältigen (Harvey 1973).

Soziale Ungleichheit entsteht immer dann, "wenn [bestimmte Teile der] Menschen aufgrund ihrer Stellung in sozialen Beziehungsgefügen von den ›wertvollen Gütern‹ einer Gesellschaft regelmäßig mehr als andere erhalten" (Hradil 2001: 30).

Um soziale Gerechtigkeit herzustellen, müssen wir die Ungleichverteilung überwinden und gleiche Chancen (bspw. zur Teilhabe an Bildung) für Alle ermöglichen (Wiezorek et al. 2020).

In der Bildungsforschung hat sich außerdem die Erkenntnis durchgesetzt, dass Bildung an vielen Orten stattfindet (Duveneck 2018). Das bedeutet: Wir lernen nicht nur unter unterschiedlichen Bedingungen, sondern auch an unterschiedlichen Orten, die unterschiedliche Aufgaben erfüllen.

Formales und informelles Lernen

Die Bildungsforschung unterscheidet zwischen formaler, non-formaler und informeller Bildung (u.a. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018; Kilakoski 2019; Müller 2010; Meusburger 2006; Mills/Kraftl 2014; Singer-Bodrowski 2016).

  • Formale Bildung findet im institutionellen Rahmen statt, hat vorgegebene Lernziele und -zeiten, wird mit Zertifikaten bestätigt und ist häufig verpflichtend (Schul-, Ausbildungs- und Hochschulsystem).
  • Non-formale Bildung ist planvoll an Lernzielen orientiert, ist aber im Gegensatz zu formaler Bildung meist freiwillig (Angebotscharakter). Non-formale Bildungsangebote können zum Beispiel Sprachkurse, Angebote der politischen Bildung von zivilgesellschaftlichen Organisationen, Lernen in Jugendgruppe & -verbänden oder auch betriebliche Weiterbildungsangebote sein. Non-formale Bildung findet deshalb auch außerhalb staatlich anerkannter Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen statt. Zu den non-formalen Orten der Bildung gehören eine ganze Reihe von Orten wie zivilgesellschaftliche Organisationen, Theater, Museen, Begegnungscafés, Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, Nachbarschaftszentren oder öffentliche Bibliotheken.
  • Informelles Lernen meint dagegen ungeplante Lernprozesse, die eigentlich ständig entstehen: in der Freizeit, am Arbeitsplatz, bei unserem Engagement. Wir lernen täglich Neues und eignen uns Fähigkeiten, Wissen und Werte an. Informelle Bildung hat keinen konkreten Ort und findet überall statt. In unserem Alltag fördern jedoch besonders Orte der non-formale Bildung informelles Lernen.

Lernorte

In den letzten Jahren haben besonders die Lernwelten und -orte außerhalb der formalen Bildung an Bedeutung gewonnen. Wissenschaftler:innen und Politiker:innen gehen mittlerweile davon aus, dass sich viele Lernorte in einer Stadt oder Gemeinde, die im weiteren Sinne einen Bildungsauftrag erfüllen, ergänzen und zusammen ein Netz bilden, in das die Bürger:innen eingebunden sind und auf das sie zurückgreifen können. Dieses Netz wird auch (kommunale) Bildungslandschaft genannt und mittlerweile auch von der Politik gefördert (für NRW siehe hier).

In Bezug auf die konkreten Orte, an denen wir Lernen, wird zusätzlich unterschieden zwischen dem ersten, zweiten und dritten Ort (Oldenburg 1989).

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Bild von pch.vector auf Freepik
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Im Privaten lernen wir soziale Kompetenzen, Selbstwirksamkeit und Solidarität. Dieser Ort wird auch erster Ort (first place) genannt. 

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In der Schule oder am Arbeitsplatz erwerben wir formale Qualifikationen. Diese Orte werden auch zweite Orte (second place) genannt.

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Bild von storyset auf Freepik
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Non-formale Bildungsorte sind Orte der kulturellen Öffentlichkeit. Sie werden auch dritte Orte (third place) genannt und dienen dem ›learning to live together‹ – also dem gegenseitigen Verständnis und dem gemeinsamen Leben von unterschiedlichen Menschen in einer Gesellschaft. Sie unterstützen individuelle Lernkompetenzen und tragen zur Begegnung und zum Austausch von Menschen bei.

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Das Bild zeigt das Cover des Buchs "The Great Good Place" von Ray Oldenburg aus dem Jahr 1989.
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Erste Anknüpfungspunkte für ein Verständnis von dritten Orten leistete der Stadtsoziologe Ray Oldenburg (1989: 20ff.) bereits Ende der 1980er Jahre. Oldenburg (1989) konzipiert den dritten Ort (third place) als Ort der Öffentlichkeit. Nur an einem Ort, der sich außerhalb des eigenen Zuhauses (first place) und den Orten der Lohnarbeit bzw. den Orten der formalen Bildung (second place) befinde und an den niemand persönlich gebunden ist, existiere die notwendige Öffentlichkeit für intensive Begegnungen zwischen Fremden auf neutralem Boden.

Weitere Merkmale von dritten Orten:

  • niedrigschwellige Anforderungen zur Teilnahme an Interaktionsprozessen
  • Ort muss offen und frei zugänglich sein
  • erfordert auch Offenheit für neue Nutzer:innen
  • gesellschaftlicher Status von Personen (sozial, ökonomisch, etc.) darf keine große Rolle spielen
  • Atmosphäre muss einladend, aber v.a. auf die Bedürfnisse der Nutzer:innen abgestimmt sein (Funktion vor Optik)
  • Gestaltung muss auf Gemeinschaft fokussieren und kollaboratives Arbeiten ermöglichen
  • Möglichkeit von offener, wertfreier Begegnung und Gesprächsatmosphäre / Kommunikation muss gegeben sein, um Individuen Wärme und Gruppenzugehörigkeit zu vermitteln

Copyright: Katja Thiele und Irene Johannsen

Ein Beispiel für einen dritten Ort sind öffentliche Bibliotheken. Sie richten sich an Menschen jeden Alters, insbesondere aber an nachwachsende Generationen: von ca. 425.000 Veranstaltungen, die jährlich von oder in öffentlichen Bibliotheken in Deutschland durchgeführt werden, hatten 2018 (vor der Corona-Pandemie) 44,8 % Kinder und Jugendliche als Zielgruppe. Dazu gehörten »neben [klassischen] Lesungen [auch moderne Formate] und Ausstellungen z.B. […] Angebote digitaler Leseförderung und Medienkompetenzvermittlung, Game Conventions, Makerspace-Aktionen, Programmierworkshops, Sprachkurse und Schulungen« (dbv e.V. 2020a: 4).

Vier Merkmale machen die (öffentliche) Bibliothek als dritten Ort besonders interessant:

  • Sie sind Räume des (kollektiven) Wissens.
  • Sie bieten einen offenen, niedrigschwelligen Zugang zu Ressourcen (Medien, Technik, Internet, Wissen, Kommunikation) und damit die Voraussetzung für gesellschaftliche Partizipation.
  • Sie schaffen Möglichkeiten zur Begegnung und Interaktion mit Freund:innen und Fremden und für soziales Miteinander.
  • Dadurch ermöglichen sie dem Einzelnen lebenslanges Lernen und dienen der Vermittlung von Kompetenzen jenseits der formalen Bildungsinfrastruktur.
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Copyright: Katja Thiele, Malmö 2019
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Kreativräume für Jugendliche in der Zentralbibliothek in Malmö

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Copyright: Katja Thiele, Köln, 2019
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Multimediale Angebote in der Zentralbibliothek in Köln

Dritte Orte fördern Bildungsgerechtigkeit und soziale Nachhaltigkeit

1. Ein unkomplizierter außerschulischer Zugang zu Kultur, wie ihn dritte Orte ermöglichen, ist im Kontext von Bildungsgerechtigkeit besonders relevant. Das liegt daran, dass non-formale Lernorte gerade den Menschen Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe eröffnen, die aufgrund von Bildungsungleichheiten weniger Chancen im formalen Bildungssystem haben. Langfristig helfen sie dadurch auch Bildungsungleichheiten zu reduzieren und dem Ideal einer sozial und ökologisch gerechten Gesellschaft näher zu kommen. 

Nehmen wir das Beispiel Einkommen und soziale Herkunft: Kinder aus einkommensschwachen Elternhäusern bzw. von Eltern mit niedrigen Bildungsabschlüssen haben bis zum Ende der Schulpflicht weniger Kontakt zu kulturellen Aktivitäten als Kinder aus Akademiker:innenhaushalten. Und auch für Erwachsene steigt die Bedeutung non-formaler Bildungseinrichtungen. Die Beteiligung an außerschulischen Bildungs- und Lernaktivitäten im Kontext der Weiterbildung lag im Jahr 2018 mit 52,3 % aller 18- bis 69-Jährigen auf dem bisher höchsten Stand. Die Teilnahme an Angeboten des außerschulischen Lernens verteilt sich mittlerweile zu 45 % auf betriebliche Anbieter:innen, zu 22 % auf kommerzielle Anbieter:innen, zu 17 % auf gemeinschaftliche und zu 13 % auf staatliche, d.h. öffentliche Anbieter:innen. Das liegt unter anderem daran, dass Erwachsene mit geringen Bildungsabschlüssen häufig im späteren Berufsleben Abschlüsse nachholen oder sich in der Freizeit (transformativ) engagieren (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2020: 13ff.).

2. Es existiert außerdem ein Zusammenhang zwischen der Digitalisierung und den Möglichkeiten an Bildungsangeboten teilzuhaben und selbst ins Handeln zu kommen oder gar ein Handabdruck-Projekt zu starten. Die Teilhabe an der zunehmend digitalisierten Gesellschaft und die Gestaltung der eigenen Biografie ist schon heute abhängig von technischen und digitalen Kompetenzen - und das wird in Zukunft noch stärker sein. Gleichzeitig beobachten Wissenschaftler:innen eine digitale Spaltung (Norris 2001, van Dijk 2012).

Trotz mittlerweile nahezu flächendeckendem Breitband-Internetzugang und einer zunehmend dichten Infrastruktur sind immer noch viele Menschen vom Netz abgeschnitten (bspw. auf dem Land). Während einige Menschen die Herausforderungen der digitalen Welt ganz selbstverständlich meistern, gibt es zudem viele Menschen für die die Digitalisierung eine große Hürde darstellt und die enorme Kraft und Zeit aufwenden müssen, um mitzuhalten. Über alle Bildungsbereiche hinweg verfügt ein erheblicher Teil der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen in Deutschland allenfalls über rudimentäre digitale Kompetenzen: Unter allen 16-bis 65-Jährigen verfügten im Jahr 2012 27 % der Bevölkerung über sehr geringe digitale Kompetenzen. Unter den Schüler:innen waren es 2018 sogar 33 % und nur 2 % hatten demnach hohe Kompetenzen (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2020: 16ff.).

Vor allem soziale und ökonomische Bedingungen entscheiden darüber, wie gut Menschen an der digitalen Welt teilhaben können, denn soziale Ungleichheiten in der Gesellschaft "werden oft in den digitalen Raum übertragen" (Zillien 2013). Die Kraft und Zeit, die Menschen aufbringen müssen, um ihre digitalen Kompetenzen auszubauen, fehlt ihnen möglicher Weise an anderer Stelle und kann ein Hindernis sein für ein transformatives Engagement.

3. Die Forschung gibt Hinweise darauf, dass trotz aller Debatten über die Möglichkeiten des Ausbaus digitaler Angebote besonders analoge dritte Orte, an denen man sich begegnen und austauschen kann, wichtig für die Vermittlung digitaler Kompetenzen und eines Gefühls der gesellschaftlichen Teilhabe sind (Huebener/Schmitz 2020, Peterson 2019).

Dritte Orte eröffnen niedrigschwellige Lernräume für die Menschen, für die die Orte des formalen Lernens (second place) nicht ausreichen oder die eigenen vier Wänden (first place) keine förderlichen Lernbedingungen bieten. Dort können intensive Begegnungen außerhalb der eigenen familiären Herkunftskontexte stattfinden, die zum Bildungserfolg beitragen und helfen Defizite auszugleichenDie Potenziale dritter Orte hängen damit zusammen, dass sie auf den Prinzipien Freiwilligkeit, Partizipation, Lebensweltbezug und Subjektbezug beruhen Besonders die Vermittlung technischer und digitaler Kompetenzen, an und durch dritte Orten hat an Bedeutung gewonnen (u.a. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2020, Eckert/Tippelt 2017, Graßhof 2017, Nugel 2016).

Was bedeutet das für die Bildung für nachhaltige Entwicklung?

Aus meiner Sicht sind es vor allem zwei Dinge, die wir in unserer Bildungsarbeit berücksichtigen und immer weider aufs neue reflektieren müssen. Wir müssen erstens niedrigschwellige Angebote schaffen und Menschen dort abholen, wo sie stehen! Zweitens müssen wir dritte Orte unterstützen und gestalten, um gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.

Die Zugangsbarrieren zu Bildungsangeboten im Blick zu haben und sie abzubauen, ist aus der Perspektive einer BNE mit Handabdruck äußerst relevant. Wir können die Transformation nur erreichen, wenn wir möglichst viele für den Wandel gewinnen.

Transformative Bildung für nachhaltige Entwicklung verstehe ich als Lebenslangen Lernprozess, der Menschen dabei begleitet die Komplexität von Nachhaltigkeit und Transformationsprozessen zu erfassen und ihnen hilft darin Ansatzpunkte für ein eigenes Handabdruck-Engagement zu finden und dieses strategisch anzugehen. Damit gerade auch diejenigen, denen der Schritt vom Wissen zum Handeln nicht so leicht fällt, aufgefangen werden können, spielt aus unserer Sicht besonders die Begleitung von Menschen in ihrem Engegament eine große Rolle. Durch die Begleitung lernen Engagierte Möglichkeiten und Grenzen zu erkennen. Dazu gehört sowohl das Erkennen von Hindernissen bei der Entwicklung von Projekten, als auch der transparente Umgang mit den Möglichkeiten und Grenzen. Die Schwierigkeiten der Engagierten, mit Widersprüchen im Projekt umzugehen, sind Teil des transformativen Lernprozesses, müssen aber intensiv begleitet werden, um bei den tatsächlichen Bedarfen anzusetzen. Die Engagierten müssen als Menschen im Lernprozess gesehen werden, um ihren Lernerfolg als Individuum und in der Gruppe sicherzustellen. Das Einfangen der dabei auftretenden Schwierigkeiten stellt uns als Begleitende vor Herausforderungen, dennoch ist gerade das Aushalten dieser Spannungen wichtig.

Niedrigschwellige Bildungsangebote und für alle zugängliche und einladende Orte zu gestalten, ist ein wichtiger Hebel für die Teilhabe an Bildung und gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen. Eine wichtige Aufgabe in der Bildung für nachhaltige Entwicklung ist es aus meiner Sicht die vorhandenen Orte sichtbar zu machen, ihre Vernetzung zu fördern und ihre Potentiale zu heben. Diese Orte (oder andere kreative Formate und innovative räumliche Angebote) zu gestalten, kann natürlich auch selbst Teil der Bildungsarbeit sein.

Ziel sollt es sein, die ungezwungene Begegnung von Menschen sowie Raum für Austausch, Spannungen und Konflikte zu ermöglichen. Entgegen der Erwartung sind Spannungen und Konflikte in der Bildungsarbeit und an Bildungsorten kein Problem. Sie sind sogar ein wichtiger Teil des Verständnis- und Aushandlungsprozesses von Zukunft, der nachhaltiges Denken und Handeln erst möglich macht. Gerade der direkte Austausch mit Menschen, die anders denken, ist enorm wichtig, um komplexe systemische Transformationsprozesse zu lösen und eine gemeinsame, sozial und ökologisch gerechte, Vision von Zukunft umzusetzen. Bildungsträger:innen und -multiplikator:innen können also ganz aktiv daran arbeiten in ihren Kontexten Raum und Zeit einzuplanen damit Teilnehmende Gefühle, Werte, Erfahrungen und Gewohnheiten ohne Angst vor Bewertung äußern können. Dadurch öffnen sich Chancen für Verständigung auf Augenhöhe und Veränderung. Die Teamenden sollten dabei jedoch Wert legen auf einen geschützten Raum für verschiedene Perspektiven und Erfahrungen und Spannungen oder Konflikte in der Gruppe bei Bedarf moderieren können.

Lasst uns diskutieren!

Ich möchte abschließend auch euch die Fragen stellen, die ich mir gestellt habe:

  • Welche Bedingungen und welche Orte sind aus eurer Sicht wichtig damit ihr ins Handeln kommen könnt?
  • Und, welche Orte brauchen wir besonders für die sozial und ökologisch gerechte Transformation?
  • Kann ein digitaler Ort wie handprint-hub.de ein Ort für die Transformation sein? Wenn ja, wie?

Hintergrund zum Beitrag:

Dieser Beitrag enthält Teile aus der Doktorarbeit, die Katja Thiele 2021 geschrieben hat und die 2022 im transcript Verlag veröffentlicht wurde:

Thiele, K. (2022): Öffentliche Bibliotheken im Spannungsfeld von Digitalisierung und Austerität: Kommunale Strategien und ihre Implikationen für die Bildungsgerechtigkeit. (transcript-Verlag) Bielefeld. Link zum Buch auf der Webseite des transcript-Verlag.

Das Projekt wurde von der DFG gefördert (grant no. 424608044).

Um die Forschungsergebnisse mit der Öffentlichkeit zu teilen und einen niedrigschwelligen Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen anzubieten, ist ein kleines Comic-Booklet entstanden, das die Forschungsergebnisse vereinfacht darstellt.

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Zu sehen ist das Cover des Comic-Booklets. Vor einer neu gebauten Bibliothek mit modernder Architektur steht eine Person und liest ein Comic. Im Hintergrund geht eine Familie mit einem kleinen Kind in die Bibliothek.
Copyright: Katja Thiele
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Das Booklet kann auf Anfrage an

thiele@germanwatch.org

gerne zugeschickt werden.

Thiele, K.; Steffen, N. (2021): Europas Bibliotheken im Wandel. In: Büchereiperspektiven. Zeitschrift des Büchereiverband Österreichs 1/2021: 33-33. URL: https://www.yumpu.com/de/document/read/65684222/buchereiperspektiven-1-21-bibliotheken-bleiben-aus-der-krise-in-die-zukunft

Thiele, K.; Klagge, B. (2021): Third places and educational justice: public libraries in the context of COVID-19. In: Erdkunde 75(1): 31-49. URL: https://doi.org/10.3112/erdkunde.2021.01.03 

Thiele, K.; Becker, S. (2020): Transformative Lehre für eine kritisch-geographische (Berufs‑)Praxis.In: Standort 44: 268-274. URL: https://link.springer.com/article/10.1007/s00548-020-00671-w 

Illustration zum Beitrag: Benjamin Bertram

Literatur:

Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2020): Bildung in Deutschland 2020: Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Bildung in einer digitalisierten Welt. Studie gefördert mit Mitteln der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. URL: https://www.bildungsbericht.de/de/bildungsberichte-seit-2006/bildungsbericht-2020/pdf-dateien-2020/bildungsbericht-2020-barrierefrei.pdf

dbv e.V. (Deutscher Bibliotheksverband e.V.) (2020): Bericht zur Lage der Bibliotheken 2019/2020. URL: https://www.bibliotheksverband.de/fileadmin/user_upload/DBV/publikationen/Bericht_zur_lage_2019__2020_web.pdf

Duveneck, A. (2018): (Kommunale) Bildung. In: Belina, B., Naumann, M., Strüver, A. (Hg.): Handbuch Kritische Stadtgeographie. (Westfälisches Dampfboot) Münster: 201-206.

Eckert, T.; Tippelt, R. (2017): Learning Regions – Learning Cities – Learning Communities: Auf dem Weg zur Gestaltung regionaler Bildungsräume? In: Eckert, T.; Gniewosz, B. (Hg.): Bildungsgerechtigkeit. (Springer Fachmedien GmbH) Wiesbaden: 49-64.

Graßhoff, G. (2017): Bildung und Ungleichheit – Ein Blick auf außerschulische Bildung. In: Baader, M.S.; Freytag, T. (Hg.): Bildung und Ungleichheit in Deutschland. (Springer Fachmedien) Wiesbaden: 387-404.

Harvey, D. (1973): Social Justice and the City. (Edward Arnold) London.

Holloway, S.L.; Jöns, H. (2012): Geographies of education and learning. Transactions of the Institute of British Geographers 37(4): 482-488. URL: https://doi.org/10.1111/j.1475-5661.2012.00542.x

Holloway, S.L.; Hubbard, P.J.; Jöns, H; Pimlott-Wilson, H. (2010): Geographies of education and the importance of children, youth and families. In: Progress in Human Geography 34(5): 583-600. URL: https://doi.org/10.1177/0309132510362601

Hradil, S. (2001): Soziale Ungleichheit in Deutschland. (Leske + Budrich) Opladen.

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Klundt, M. (2016): Bildung und soziale Ungleichheit: Zwischen bildungsfernen Bildungs-Strukturen und Bildungsbenachteiligung. In: Arslan E., Bozay K. (Hg.): Symbolische Ordnung und Bildungsungleichheit in der Migrationsgesellschaft. Interkulturelle Studien. (Springer VS) Wiesbaden: 331-342.

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